Blinddate zum Selbstmord?

(1. März 2009) In der Tragikkomödie „no(r)way.today“, verabreden sich zwei junge Menschen zum gemeinsamen Suizid per E-Mail. Inszeniert von Renate Gosiewski in einer Produktion des Schau-Spiel-Studio Oberberg brillierten Theresa Peeters und Lukas Jörgens in dem Stück von Igor Bauersima.
Fotos: Vera MarzinskiFotos: Vera Marzinski Kein Drama, sondern eine Tragikkomödie, bei der das Lachen dem Zuschauer immer wieder in nur wenigen Sekunden in Entsetzen umschlägt. Tragik und Komik liegen in dem Stück geringfügige Millimeter nebeneinander. Sätze wie „Ich bringe mich ja nicht alle Tage um – ich will, dass es gut läuft“ oder „ Ich will meinem Schicksal zuvorkommen und springe ins Unglück, bevor es mir selbst zuvor kommt.“ spicken die Geschichte um die zwei Selbstmordwilligen Jugendlichen.

Ein Todesarrangement per E-Mail, so fängt das Ganze an. Schnell werden sich Julie und August einig und in schwarz-weißen und farbigen Videoeinspielungen verfolgen die Zuschauer im Schauspiel-Studio die letzten Tage bevor beide zu dem verabredeten Ort im hohen Norwegen aufbrechen. Julie bezahlt den Flug - und einen Szenenwechsel später stehen die beiden in Norwegen auf einem 600 Meter hohen Felsen über dem Fjord und überlegen, was sie in den zehn Sekunden denken werden, die der Fall in den Tod dauern wird.

Sie frieren, aber sie spüren – im Angesicht des Todes – das Leben ganz wahnsinnig intensiv – nicht nur, aber auch wegen des Polarlichts das sie sehen: „Es ist riesig!“. Julie betont, sie neige zum Glücklichsein – Depressionen lohnen sich nicht. Mit dem geplanten Selbstmord will sie zeigen, dass sie wenigstens weiß was sie tut. August sagt, er sei am Ende seines nicht gelebten Lebens angekommen. Julie verwirrt ihn aber offensichtlich mit ihrer Zielstrebigkeit und er fragt: „‚Sind wir in irgendeiner Show?“.

Am Abgrund kommt es zu einem erst spaßigen. aber dann verzweifelten Gerangel und Julie stürzt fast ab. Er wird sarkastisch – will sie nicht retten. „Du wolltest mich darunter fallen sehen.“ wirft sie ihm vor. Aber er möchte lieber noch eine Runde ausharren – vielleicht geschieht ja noch was Echtes. Das Echte ist der letzte Wunsch von ihm, den sie ihm fast erfüllt. Sehr erotisch wird es im Zelt und auf der Leinwand. Abermals perfekt umgesetzt in dieser Inszenierung durch Text und Bild – auch die Musikeinspielungen sind immer sehr passend eingesetzt. Mit dem Abwurf der Videokamera in den Abgrund am folgenden Tag beenden die beiden im Stück das Todesarrangement. Beiden Darstellern gelingt es die Hilflosigkeit und Angst genauso spürbar zu machen wie die Tatsache, dass sie eigentlich etwas anderes suchen als den Tod.

Der einerseits so locker, andererseits so verklemmt wirkende August, der den Glauben an die Welt verloren hat und Julies rebellisches Kamikaze-Selbstmord-Kommando mit ihrer distanzierten Verwunderung und einer heftigen Prise Zynismus begleiten durch das gesamte Stück. Gemeinsam liefern sie ein überzeugendes Zeugnis von den widersprüchlichen Gefühlen, die Jugendliche auf der Schwelle zum Erwachsenwerden bewegen. Sehr authentisch spielen Theresa Peeters und Lukas Jörgens diese Rollen. Autor Igor Bauersima sieht den Jugendlichen nicht nur beim Chatten zu, sondern blickt auch tief in ihr Inneres. So steht vor dem Tod das Spiel: Eine Videokamera, die ihre gefilmten letzten Botschaften an die Lebenden überbringen soll, ermöglicht den beiden den Umgang mit ihrer Realität und schafft das Vertrauen, das sich im wirklichen Leben zu bewähren haben wird. “No(r)way.today“ ist ein Stück über Sinn und Sinnlosigkeit des Lebens, eine Story, die Lebensmut vermittelt, ein anfänglicher Egotripp, der letztlich aber zu Gegensätzlichem führt. Das Stück basiert auf einer realen Begebenheit, über die im SPIEGEL (9/2000) berichtetet wurde: Ein 24-jähriger Norweger sucht per Internet jemanden für den gemeinsamen Selbstmord. Zehn Tage später springt er zusammen mit einer jungen Österreicherin von dem 600 Meter hohen Prekestolen-Felsen am Lysefjord in Norwegen in den Tod.

Für die Inszenierung des Jugendtheaterstücks am Schau-Spiel-Studio Oberberg konnte die ARD-Medienpreisträgerin Renate Gosiewski gewonnen werden. Sie absolvierte 1995 ihr Abitur am Gymnasium-Grotenbach-Gummersbach und studierte Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Bekannt wurde sie hauptsächlich durch ihre Regiearbeit bei „UNTER UNS“ (Daily Soap). Mit ihrer Inzenierung „No(r)way.today“, der packenden Komödie über den Sinn des Lebens, ist ihr gemeinsam mit Assistent Jörn Wollenweber. Eine Geschichte über jugendliche Selbstmordgedanken, die in Lebensmut und Liebe umschlagen - gelungen inszeniert am Schau-Spiel-Studio-Oberberg.

Weitere Termine:
4.3., 6.3. 7.3., 11.3.,13.3.,14.3, 18.3. jeweils 20 Uhr und 6.3. und 15.3. jeweils 18 Uhr

Vera Marzinski