Beim dritten Comedy-Kabarett-Abend des Kulturkreises stand Jens Neutag auf der Bühne des Burghauses. Foto: Vera Marzinski
„Wir gucken depressiv nach vorne und mit einer rosaroten Brille zurück“, resümiert Jens Neutag in der Rolle von Onkel Heini. Im Mittelpunkt des Jens-Neutag-Abends stand eine Familienfeier zum 95. Geburtstag von Onkel Heini – der per Festnetz-Anruf eingeladen hatte. Die unterschiedlichsten Generationen und Charaktere trafen aufeinander, die in einen verbalen Schlagabtausch traten und über aktuelle gesellschaftliche und politische Themen wie Klimawandel, Krieg oder Sprachwandel diskutierten. Dabei hielt Jens Neutag die perfekte Balance zwischen Humor und tiefgründigen Denkanstößen. Ganz ohne Requisiten, allein durch Mimik, Gestik und Sprechweise, schlüpfte er in die Rollen der verschiedenen Charaktere, die er überaus glaubhaft verkörperte.
Mit seinem neunten Soloprogramm spürte Jens Neutag zielsicher den Humor in Politik und Alltag auf. Foto: Vera Marzinski
So Cousin Karsten, der selten mit Nachdenken belästigt werde - böse Zungen würden sagen er sei „eher schlicht“. Mit ihm diskutiert er im Rollen-Wechselspiel auf der Bühne über den Nahost-Konflikt und andere teils politische Themen. Und da ist da noch Neffe Marvin, der ihm klipp und klar sage: „Ey Digga, wenn arbeiten, dann höchstens Vier-Stunden-Woche, aber maximal einmal im Monat“. Generation Z, die sich 14 Tage krankschreiben lasse nur, weil das Nackenkissen verrutscht sei, kommt bei Neutag nicht gut weg. Die Welt ändere sich, weiß er. Überall, auch in der Sprache - und den Grenzen. So hat er viele Spitzfindigkeiten dazu und zu Kindergeburtstagen oder dem Fallschutz auf dem Spielplatz. Auch zu Ängsten, die teilweise zertifiziert seien wie Novinophobie - die Angst, dass der Wein ausgeht. Anatidaephobie gäbe es wirklich - das ist eine von zahlreichen spezifischen Angststörungen und sagt aus, dass man übertriebene Angst davor hat von Enten beobachtet zu werden.
Zum Abschluss gab es eine Kostprobe aus seinem Buch „Mettigel im Winterschlaf“. Foto: Vera Marzinski
„Wenn der Neandertaler so schissig wie wir gewesen wäre, dann wäre er doch schon nach drei Tagen ausgestorben“. Das mache deutlich, dass die Gesellschaft durchaus mal eine Rückbesinnung auf frühere Zeiten vertragen könne – und ein bisschen mehr Mut. „Früher war nicht alles besser - früher ist nur länger her“, stellt Jens Neutag fest. Das Vergangene machten wir uns oft sehr viel schöner, als es tatsächlich war. Retro-Manie nenne man das Schönreden. Und so fügt er hinzu „In der Rückbesinnung sind wir so Faktentreu wie Donald Trump“. Neutag geht auf aktuelles ein und findet, die Stimmung bei der Ampel bzw. durch ihr „aus“ sei derzeit wie im Kindergarten oder eher wie bei den Geisens. Das mit diesem Trash-TV-Ehepaar nur wenige etwas anfangen konnten, ehrte das Bielsteiner Publikum, so der Kabarettist. Sei Kabarett nur für alte Leute? Werde es zur humoristischen Altenpflege? Das wir uns in diesen Tagen älter fühlen sei kein Wunder. Kabarett könne sicherlich nichts an diesen Zuständen ändern, es kann die Menschen aber durchaus zum Nachdenken bringen.
Seit über zwanzig Jahren steht Jens Neutag als Kabarettist auf der Bühne. Gestartet ist alles 1994 mit dem Kabarettensemble Kabarett ohne Ulf. Derzeit ist er mit seinem neunten Soloprogramm „Gegensätze ziehen sich aus“ auf Tour. Ebenso mit einem bundesweiten Kabarett-Jahresrückblick im Ensemble der Distel, hauptsächlich in den Monaten Dezember und Januar. Als Autor ist Jens Neutag seit 1994 aktiv und immer öfter ist er auch als Regisseur und Coach bei der Entwicklung von Kabarett- und Kleinkunstprogrammen gefragt. In Bielstein las er als Zugabe aus seinem Buch „Mettigel im Winterschlaf“ - eine Sammlung von Texten und Kolumnen sowie einem biografischen Teil.
Vera Marzinski
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