Haushaltsrede 2009

(18. November 2008) Rede vom 4. November 2008 zur Einbringung des Haushaltplanes 2009 von Bürgermeister Werner Becker-Blonigen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen des Stadtrates der Stadt Wiehl,

der heute vorzulegende Haushaltsplan 2009 stellt den finanzpolitischen Abschluss der laufenden Legislaturperiode dar. Er bedeutet den weiteren Übergang in das neue kommunale Finanzsystem, also mit Einschränkungen das kaufmännische Rechnungswesen, auch wenn die Eröffnungsbilanz noch auf sich warten lässt. Zugleich stellt er den Versuch dar, in einer Phase auslaufender Hochkonjunktur, der gleichzeitig extrem überdehnten Weltfinanzmärkte und fortschreitender struktureller Veränderungen, Finanzplanung auf kleinem Raum halbwegs exakt zu präsentieren.

Der Entwurf des Haushaltsplanes 2009 ist daher mehr als in den vergangenen Jahren eine Momentaufnahme, von der man fast mit Gewissheit sagen kann, dass ihre wesentlichen Annahmen im Laufe des projektierten Haushaltsjahres in Frage gestellt werden. An welcher Stelle und in welchem Ausmaß dies erfolgen wird, ist schwer vorherzusehen, zumal sämtliche Wirtschafts- und Haushaltsindikatoren die gute Entwicklung der Vergangenheit und die offensichtlichen Risiken der Zukunft gleichzeitig widerspiegeln.

Die Verwaltung möchte einerseits der Situation Rechnung tragen und andererseits eine zuverlässige politische Handlungsbasis liefern, gerade in einem Wahljahr, in dem auch die hier im Rat vertretenen Parteien um zukünftige Mandate im Wettbewerb zueinander stehen. Der Vorbericht zum Haushaltsplan der Stadt Wiehl geht daher bereits sehr in Details und beleuchtet Einzelaspekte, Einzelrisiken, insbesondere Schwierigkeiten der Umstellung auf NKF, dem sämtlicher prophetischer Zauberglanz mittlerweile abhanden gekommen ist und versucht, Notwendigkeiten, Wünschenswertes, Potentiale und ihre Grenzen darzustellen.

Ich möchte mich hingegen in meinen Ausführungen auf einige Grundgedanken zum Haushaltsplan 2009 beschränken. Zugleich liegt mir daran, noch einmal auf die entwickelte Struktur unserer Stadt, ihren Veränderungsbedarf und unsere Chancen und Potentiale aufmerksam zu machen.

A. Haushaltsrahmen

Seit einigen Jahren bewegt sich das Ertrags- und Aufwandsvolumen unseres Haushaltes in etwa in der gleichen Höhe und Größenordnung. Temporäre Schwankungen sind im Wesentlichen auf erhöhte Steuereinnahmen zurückzuführen. Im Mittelwert der Einnahmen und Ausgaben aus laufendem Betrieb ist von etwa 50 – 55 Mio. € auszugehen. Gerade wegen der Einwohnerrückgänge, des demographischen Wandels, der Grenze unseres Wachstums an gewerblichen Flächen und wegen der Notwendigkeit, weiterhin die inneren Strukturen zu stärken, begegnet jeder Wunsch nach Vergrößerung unserer wirtschaftlichen Basis in der Stadt Wiehl Grenzen. Dennoch ist die „magische“ Zahl von 10.000 versicherungspflichtig Beschäftigten in unserer Stadt ein erreichbares Ziel. Aber auch dann ist unsere Eingrenzung erkennbar und damit auch die Potentiale, aus denen heraus unsere Strukturen refinanziert werden können.
  1. Erfreulich ist, dass 95% unserer Gewerbesteuer mittlerweile von über 200 Firmen erbracht werden. Das bedeutet, dass unser Bestreben, die Vielfalt an Unternehmen in unserer Stadt zu steigern, von Erfolg gekrönt war. Vielfalt bedeutet dabei nicht nur Branchenvielfalt, sondern auch ein mittlerweile ganz respektabler Anteil an Dienstleistungen, die neben dem hohen Anteil an produzierendem Gewerbe eine interessante berufliche Perspektive in unserer Stadt darstellen. Den Gewerbesteuereinnahmerahmen für nächstes Jahr mit knapp 25 Mio. € abzustecken, ist sehr mutig und zeugt von unserer Hoffnung, dass trotz zu erwartender „Schrammen“ bei der Ertragsentwicklung einiger großer Unternehmen, eine Kompensation durch antizyklische Entwicklungen erfolgen wird. 25 Mio. € sind dennoch für eine Stadt wie Wiehl eine stolze Marke. Sie jedes Jahr zu erreichen bedeutet eine große Anstrengung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der gewerblichen Wirtschaft unserer Stadt.
  2. Die Grundsteuer liegt mittlerweile bei 3,5 Mio. € Jahreseinnahme. Steigerungspotentiale werden in den nächsten Jahren nur noch in geringfügigem Umfange generierbar sein. Hier ist unser Rahmen in etwa ausgeschöpft.
  3. Die Einkommenssteuer soll im kommenden Jahr die Marke von 10 Mio. € erreichen. Rechnet man die Kompensationszahlung für den seinerzeitigen Familienlastenausgleich hinzu, lägen wir bei fast 11 Mio. €. Da im kommenden Jahr mit Steuerentlastungen durch höhere Anrechnung von Vorsorgeaufwendungen gerechnet werden muss, wird auch diese Marke nur erreicht werden können, wenn wir eine anhaltend gute Beschäftigung und damit eine gute Einkommenssteuereinnahme in Gänze erzielen werden.
  4. Der Umsatzsteueranteil bewegt sich langsam auf die 2 Mio. € zu. Dies war seinerzeit als Kompensation für die weggefallene Gewerbekapitalsteuer gedacht. Uns in Wiehl fehlen bei dieser Rechnung immer noch 1 Mio. €. Aber das ist mittlerweile auch Steuergeschichte....
  5. Hinzufügen könnte man noch die Einnahmen aus Konzessionsabgaben der Sparten Strom, Gas und Wasser in Höhe von knapp 1,4 Mio. €. Diese unterliegen Gott sei Dank noch nicht der Umlagegrundlage und verbleiben uns in Gänze. Die an anderer Stelle verbuchten Einnahmen aus Gewinnausschüttungen unserer kommunalen energiewirtschaftlichen Betriebe sowie deren Gewerbesteuerzahlungen werden allerdings in den nächsten Jahren deutlich sinken. Damit wird die Sorge um die Verlustabdeckung von Bädern und Eishalle vergrößert. Dies sollte man für alle Bereiche, in denen im Wege des steuerlichen Gewinn- und Verlustsaldos eine Stützung von verlustbringenden Einrichtungen ermöglicht wird, immer berücksichtigen. Der Gesetzgeber möchte die Margen in der Energieversorgung senken und dies wird eintreten.
  6. Bei den Transferaufwendungen ist natürlich mit 16 Mio. € die Kreisumlage zu erwähnen, von deren Stabilität ich im Wahljahr zunächst ausgehen möchte. Spätere Steigerungen sind natürlich nicht ausgeschlossen. Früher haben wir uns hierüber die Köpfe heiß geredet. Verantwortung für die Kreisumlage, deren Höhe sowie die Haushaltsgestaltung des Kreises haben aber nun einmal unsere Kreistagsabgeordneten. Ich bedaure, dass wir im Rahmen der von den Parteien betriebenen „Ämtertrennung“ keine gleichzeitigen Mandate im Kreistag und Stadtrat mehr haben. Der hierdurch eingetretene Verlust an kommunalpolitischer Information, Kommunikation und auch belebender Streitkultur ist aus meiner Sicht schade.
  7. Zu erwähnen wäre natürlich noch die Gewerbesteuerumlage, durch die die „partnerschaftliche Teilhabe“ von Land und Bund zum Ausdruck kommt. Sie beträgt im kommenden Jahr 4,2 Mio. €.
  8. Damit werden bereits durch automatische Transferaufwendungen 20 Mio. €, das sind 40% unserer Erlöse, abgeführt.
  9. Bei den Personalaufwendungen haben wir einschließlich tarifbedingter Steigerungen und Versorgungsaufwendungen die Summe von 8,8 Mio. € zu erbringen. Dennoch sind wir personell in unserer Kernstruktur nicht optimal aufgestellt. Krankheitsbedingte Ausfälle führen sofort zum Erliegen ganzer Sachgebiete. Auch ist die demographische Struktur unseres Personals grafisch dargestellt durch eine schmale Taille gekennzeichnet. Das war das Ergebnis einer lange durchgehaltenen Personalreduzierung, die allerdings jetzt mühsam aufgeholt werden muss, um auch in Zukunft die wesentlichen Funktionsabläufe zu garantieren.
  10. Dennoch muss in Zukunft neben der Betrachtung des Altersaufbaus auch die Definition der Zukunftsanforderungen und des Leistungsumfanges überdacht werden. Das Personalkostenbudget muss in Korrelation stehen zu der zu beantwortenden Frage was und wen ich mir in Zukunft leisten kann.
  11. Die Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen in Höhe von 7,7 Mio. € und, wenn man so will, die bilanziellen Abschreibungen von 3,8 Mio. € mitsamt den Transferaufwendungen von 8,0 Mio. € spiegeln die Betriebsstrukturen unserer Stadt und ihrer Einrichtungen wieder.
  12. Besondere Schwerpunkte bilden mittlerweile der Bereich Schulen und auch Kultur. Beides ist gewollt und aus meiner Sicht richtig. Die Transferaufwendungen betreffen schwerpunktmäßig unsere Kinder- und Jugendarbeit und haben ebenso ihre Berechtigung. Dass daneben auch der Sport nicht zu kurz kommt, ist selbstredend. All dies gehört zu unserem Selbstverständnis von der Entwicklung eines familienfreundlichen, lebens- und liebenswerten Städtchens Wiehl. Dennoch warten hier die schwierigsten und größten Arbeiten und Überlegungen auf uns. Die detaillierte Überprüfung von Kosten und Nutzen, die Diskussion von Leistungsumfängen, die Relation von Selbstorganisation und öffentlicher Dienstleistung; all dies sind Themen, über die in einem längeren Prozess intensiv diskutiert werden muss. Dabei dürfen wir nicht der Versuchung einer „Verbetriebswirtschaftlichung“ durch das NKF unterliegen, bei der in der reinen Kostenbetrachtung sehr schnell unter Einengung des Blickwinkels eine Empörungskultur entsteht, die keineswegs immer zu einer friedlichen Auflösung gelangt. Kostentransparenz, Kostendeckungsgrad, Marketingaufwendungen oder einfach politisch und ethisch gewollte Pflichtausgaben werden als Kriterium unsere Diskussionen begleiten. Zu bemerken wäre nur, dass wir uns mittlerweile vieles leisten können, was in anderen Kommunen nicht selbstverständlich ist und über dessen dauerhaften Bestand man zum jetzigen Zeitpunkt noch keine endgültige Aussage treffen kann.
  13. Fazit zum Haushaltsplan 2009 bleibt dennoch, er ist ausgeglichen vorgelegt. Er enthält keine Steuer- und Abgabeerhöhungen. Er ermöglicht kräftige Investitionen in Schulen, Sportstätten, Gewerbestandorten, Verkehrswegen und sozialen Strukturen aus eigenen Mitteln. Er bewegt sich in dem Rahmen von uns definierter mittelfristiger Finanzplanung. Er erhält dem Rat dieser Stadt seine Handlungs- und Gestaltungsfreiheit. Er stellt damit ein ganz wichtiges Element kommunaler Selbstverwaltung dieser Stadt dar.

B. Potentiale und Schwerpunkte

Es hat sich in der Praxis der kommunalen Selbstverwaltung unserer Gemeinde in den letzten Jahren ein haushaltspolitischer Dreiklang entwickelt, der mit den Schwerpunkten Investieren, Gestalten und Schulden abbauen überschrieben werden könnte. Dieser Dreiklang hat sich aus zahlreichen haushaltspolitischen Einzelbetrachtungen heraus gebildet, denen jeweils Entwicklungsziele, wie familienfreundliches Wiehl, Arbeitsplätze vor Ort, Bildungsstandort und soziales Wiehl oder Demographie und Generationengerechtigkeit zu Grunde lagen. Wenn wir diesen Dreiklang auch in Zukunft gewichten wollen, bedarf es zunächst einmal eines Rückblicks auf unsere eigenen Potentiale und auf die Beiträge Dritter.
  1. Als die Stadt Wiehl im Jahre 1969 aus den Gemeinden Bielstein und Wiehl, unter Verlust eines Drittels ihrer Einwohner, zu einer neuen Gemeinde zusammengefasst wurde, gab es neben der Strukturvereinbarung der beiden Kommunen, das Angebot des Landes und des Bundes, über die Transferleistungen des Ausgleichsstocks und zahlreicher Förderprogramme zu einer selbsttragenden Struktur zu kommen. Die Stadt Wiehl hat diesen Weg beherzt und unter Hinnahme eines sehr hohen Risikos beschritten. Neben dem bereits bis 1969 bestehenden finanzpolitischen Nachteil der nicht eingeführten Ämterverfassung, kam jetzt, in der Wiederaufbauzeit, der notwendigerweise eintretende hohe Verschuldungsgrad hinzu, der ausgelöst durch die relativ geringen Zuschussquoten, gerade im Schulbau, Kindergartenbau und im Sportbau unvermeidlich war. Da der Ausgleichsstock einen erheblichen Teil des Kapitaldienstes abzudecken bereit war, war diese Strukturschieflage aus damaliger Sicht hinzunehmen.
  2. Damit unterscheidet sich die Situation des sogenannten Ausgleichsstocks von der heutigen Situation des Haushaltssicherungskonzeptes diametral. Der damalige Gedanke der Hilfe zur Selbsthilfe war verbunden mit dem Ziel, die Gemeinden mittelfristig in einen Zustand zu versetzen, der es ihnen ermöglichte, die Kernaufgaben der kommunalen Selbstverwaltung ohne laufende Dritthilfe des Staates zu finanzieren. Dies ist in Wiehl gelungen. Mit dem Haushaltsjahr 1984 wurde der Ausgleich erreicht. Seit 1988 nimmt die Stadt Wiehl nicht einmal mehr am kommunalen Finanzierungsverbund teil. Bis auf eine kurze Ausnahme hat die Stadt Wiehl keine Schlüsselzuweisungen mehr erhalten und damit die Gemeinschaft der übrigen Kommunen um den ansonsten ihr zustehenden Anteil entlastet. Dessen ungeachtet wird die Stadt Wiehl trotz aller finanzieller Genesung auch in Zukunft bei Projekten sowohl im investiven als auch im gestalterischen Bereich auf Hilfen Dritter angewiesen sein. Schulbau, Sportbau, Freizeiteinrichtungen und die Gestaltung von standortauszeichnenden Ereignissen im kulturellen und sozialen Leben werden ohne Hilfe des Staates und privater Initiativen nicht möglich sein.
  3. Die Potentiale, die in Wiehl zur Verfügung stehen, sind zunächst einmal die 26.000 Einwohner und deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Natürlich kommen mehrere hundert Firmen hinzu, die über ihre Inhaber oder Leiter einen ökonomischen und auch persönlichen Beitrag zu unserer kommunalen Entwicklung leisten. Dass dabei die ins Auge springenden Projekte primär im Fokus der Betrachtung stehen, versteht sich von selbst. Aber auch die zahlreichen kleinen und mittleren Sponsormaßnahmen zur Förderung des sozialen Zusammenhalts in unserer Kommune sollten nicht übersehen werden. Neben all dem ist immer wieder an die Vereine und Institutionen zu denken, ohne deren Mithilfe wir insbesondere den Haushaltsgrundsatz des Gestaltens nicht würden realisieren können.
  4. Sofern wir unsere Potentiale erweitern wollen, müssen wir unsere Strukturen so aufbauen, dass der Nutzerkreis über unser kommunales Gebiet hinausragt. Dabei ist die Waage zu halten zwischen Standortprofilierung, Stadtmarketing, Qualitätsverbesserung für die eigene Bevölkerung und dem notwendigerweise zu betrachtenden Deckungsbeitrag der Nutzerkreise. Standortprofilierung muss dem Ziel dienen und darf nicht zu einer Form von horizontalem Finanzausgleich führen, um Nachbarkommunen Infrastrukturleistungen zu ersparen. Die Proportionen müssen dabei stimmen. Die Gestaltungslasten müssen sich auch für eine Stadt Wiehl im Rahmen halten, sonst wird sie unter der Dauerlast von Gestaltungskosten die Parität der oben dargestellten Haushaltsgrundsätze nicht mehr einhalten können. Wenn man diese Überlegungen auf unsere konkrete Aufgabenstellung im Sportstätten- und Bäderwesen, im Schulwesen sowie im Bereich der Sozial- und Kulturpolitik umsetzt, merkt man schnell, wie schwierig und brisant dieses Thema werden kann.
  5. Es gilt jedoch gerade angesichts der Tatsache, dass die Infrastruktur der Stadt Wiehl in Summe eher mit einer Stadt von 40.000 Einwohnern als mit einer Stadt von 26.000 Einwohnern vergleichbar ist, noch einmal langfristig darüber nachzudenken, ob die menschlichen Potentiale unserer Stadt und die ökonomischen Grundlagen ausreichen, um alles in der Form zu konservieren, wie es sich in den letzten 40 Jahren entwickelt hat. Dieser Aufgabe sollten wir uns unter dem Arbeitstitel „Wiehl 2030“ oder ähnlich stellen, ohne die Vergangenheit zu vergessen oder unsere Gegenwartsverpflichtung zu vernachlässigen.

C. Wiehl noch einmal neu erfinden - Wiehler Interessen wahrnehmen

Die intensive Beschäftigung mit der sicher prognostizierbaren demographischen Entwicklung und die Überprüfung der Demographierelevanz kommunalen Handelns hat die Stadt Wiehl zu weiterer nachhaltiger Politikbetrachtung gebracht. Die Erkenntnis, dass Kommunalpolitik nur für Menschen gemacht werden kann, die tatsächlich geboren worden sind oder geboren werden, hört sich lapidar an, muss aber vergegenwärtigt werden.
  1. Damit ist jedoch dem Veränderungsprozess noch lange nicht Genüge getan. Diejenigen, die unsere Einwohner sind und diejenigen, die unsere Einwohner werden sollen oder möchten, haben heutzutage keine einheitlichen Erwartungsprofile mehr. Wir haben es mit einer Pluralisierung der Lebensentwürfe und der Geschmäcker zu tun. Die breite Vielfalt der beruflichen Lebenserfahrungen, der persönlichen Lebensverhältnisse und der Wünsche und Vorstellungen, mischen sich nur noch zu einem Teil in eine Erwartung an ein „kommunales Menue“. Zu einem nicht unerheblichen anderen Teil besteht der Wunsch nach einem Leben „à la carte“.
  2. Eine Kommune muss bei allen ihren Rahmengestaltungen und den Investitionen diese Pluralisierung berücksichtigen und versuchen, die Bevölkerungsstruktur der nahen und fernen Zukunft zu diagnostizieren. Wenn wir also in Wiehl darüber diskutieren wollen, wie unser Städtchen in 20 Jahren aussehen soll, welche Ziele wir bis dorthin verfolgen wollen und was geschehen muss, damit diese Ziele erreicht werden, müssen wir auch versuchen, die menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Potentiale unserer Stadt möglichst präzis aufzuzeichnen.
  3. Wir haben uns einmal in den 80er Jahren auf der Grünen Woche als Stadt mit 51 Dörfern und Vielfalt auf kleinem Raum, als Gemeinschaft mit sozialem Engagement und der Verzahnung von Individuen, Gemeinschaften, Institutionen und Firmen unter einem Dach präsentiert. Wir hatten sogar einmal über die Entwicklung von hieraus resultierenden Symbolen und Ritualen nachgedacht. Heute würde man dies als Marketing bezeichnen. Vielleicht ist dies auch heute noch ein Ansatz.
  4. Soziale Gemeinschaft bedeutet Individualität und Verantwortung zugleich. Verantwortung bedeutet Fürsorge für die, die in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt werden. Auch in unserem Wiehler Paradies gibt es Schatten. Mehr als uns lieb sein kann. Auch jede zerstörte oder getrennte Lebensgemeinschaft verschlechtert die soziale Existenzbasis der Betroffenen, verschlechtert und zerstört Lebens- und Zukunftsperspektiven der Kinder. Ich bin mir sicher, dass eine gezielte Hilfe auf verschämte Dankbarkeit stoßen würde.
  5. Bei aller Binnenbetrachtung muss auch der schleichende, aber mittlerweile zunehmend klarer werdende Paradigmenwechsel lokaler zu regionaler Politik in unser Blickfeld einbezogen werden. Regionale Politik nimmt an Bedeutung zu. Die kommunikative Vernetzung unserer Welt und aller unserer Lebensräume verändert die Lebenswahrnehmung dramatisch. Grenzen verschwimmen und Strukturen lösen sich innerlich auf, auch wenn sie äußerlich noch vorhanden sind. Dies führt dazu, dass die Kirchturmsbetrachtung einer Kommune zur Wahrnehmung ihrer Chancen nicht mehr ausreicht. Die Einbindung in regionale und überregionale Strukturen und die Wahrnehmung der Interessen der Kommune in diesen Strukturen gewinnt in atemberaubender Geschwindigkeit an Bedeutung. So wie wir die Kompetenzverluste anderer Ebenen registrieren, so trifft es uns auch selbst.
  6. Um in diesem Strukturwandel Berücksichtigung zu finden, bedarf es der Mitarbeit in regionalen und überregionalen Gremien. Die Definition der eigenen Kommune erfolgt in Zukunft in zunehmendem Masse auch über die Wahrnehmung einer Aufgabe in der regionalisierten oder überregionalen Struktur. Wer sich diesem Prozess verweigert, wird von der Realität überrollt werden. Aktive Teilhabe hingegen bietet eine Chance auf Mitgestaltung. Daher wird es in den kommenden Jahren auch für die Stadt Wiehl äußerst wichtig werden, regional und überregional vertreten zu sein, Einfluss zu nehmen und bei ihren Vertreterinnen und Vertretern das Bewusstsein zu schärfen, aus Wiehl zu stammen und für Wiehl tätig zu werden.
  7. Zu allem Überfluss, aber nach Jahren des Booms und der maßlosen Übertreibung fast zu erwarten, bricht die Finanzkrise auch in unsere kleine Welt ein. Dass das an sich klare Prinzip von Einlagen und Ausleihungen, nicht nur durch zahlreiche komplexe Finanzmechanismen und Finanzierungssysteme, die die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen ganz einfach bedingen, schwer überschaubar geworden ist, ist das eine. Die Fortentwicklung immer weiterer mathematisch basierter, spekulativer Finanzierungsinstrumente und deren exzessiver Gebrauch, hat die Risiken erhöht. Jetzt sind sie eingetreten. Die Reparatur wird relativ lange brauchen. Wenn wir Pech haben und wenn es schlimm kommt, haben wir 2009 500.000 Arbeitslose mehr. Ich frage mich oft, ob der Trend zur Überdehnung, zur völligen Ausschöpfung, zur alltäglichen Hysterisierung, zur maßlosen Übertreibung und zur konsequenzlosen Verhaltensweise nicht bereits in vielen Lebensbereichen auch unseres Alltages zu erkennen gewesen ist. Eine wirkliche Wende im Verhalten wird schwer sein, aber haben wir nicht jetzt die Chance, auch darüber nachzudenken?
Ich möchte Sie, mit den von Ihnen vertretenen Bürgerinnen und Bürgern, so es mir vergönnt sein wird, mit der Vorlage des Haushaltes 2009 mitnehmen auf eine Reise längerfristiger kommunalpolitischer Entwicklung, in der wir dann
  • den Mut und die Kraft zu erneuter Weichenstellung finden mögen,
  • in der wir die Einschätzung der eigenen Potentiale und die Wahrnehmung der eigenen Chancen erneut definieren,
  • in der wir die Gravitationskraft regionaler und überregionaler Strukturentwicklung für die eigene Gemeinde nutzen lernen,
  • und
  • in der wir eine streitvirusresistente, konflikt- und problemlösende Politikkultur entwickeln.
Lassen Sie uns mit dem Haushaltsplan 2009, der ein schwieriges Jahr mit völlig anderen Verhältnissen, als wir sie heute wahrnehmen, begleitet, den Versuch unternehmen, unsere gute Wiehler Entwicklung fortzusetzen. Lassen Sie uns auch den Versuch unternehmen, unsere Stadt Wiehl noch einmal neu zu definieren und unsere Interessen wirksam wahrzunehmen.

Ich bedanke mich bei Ihnen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Rathaus-Teams für die gute Zusammenarbeit, die Loyalität und den großen zeitlichen und persönlichen Einsatz.

In diesem Sinne übergebe ich Ihnen den Haushaltsplanentwurf 2009 mit der sicheren Annahme, dass wir noch lange, intensive, umfangreiche und gute Diskussionen miteinander führen werden.