Neujahrsempfang der Stadt Wiehl

(19. Januar 2001) Am 19.01.2001 fand in der Wiehltalhalle der Neujahrsempfang der Stadt Wiehl statt. Untermalt von musisch-kulturellen Darbietungen fanden Gäste aus Politik, Kultur, Wirtschaft, Soziales, Vereinen und ehrenamtlichen Bereichen die Möglichkeit sich auszutauschen und einen geselligen Abend zu verleben.
Der Erlös kam der Initiative 'Integration von behinderten Kindern in den offenen Bereich des Jugendheims Drabenderhöhe' zugute.

Nachfolgend die Rede zum Neujahrsempfang 2001 von Bürgermeister Werner Becker-Blonigen.

Sehr verehrte Damen,
sehr geehrte Herren,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
sehr geschätzte Gäste und Freunde der Stadt Wiehl,

I. Die Rahmenbedingungen unseres gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens werden in dem kommenden Jahrzehnt durch die Folgen von Globalisierung und Wettbewerb, die demographische Bevölkerungsentwicklung und den Eintritt in das Kommunikationszeitalter gekennzeichnet sein.

Globalisierung ist ein langanhaltender Prozeß des umfassenden Zusammenwachsens unseres Erdballs. Es ist aber wohl hauptsächlich das Tempo der Entwicklung, das uns die Luft anhalten läßt und uns zwischen Angst, Erstaunen und Begeisterung schwanken läßt. Auch die technisch-wissenschaftliche Entwicklung schreitet in Riesenschritten voran und doch sind es immer wieder neue Ereignisse, neue Phänomene, die uns Grenzen aufzeigen und uns große Probleme bescheren. Globalisierung macht fast alles vergleichbar. Gesellschafts- und Sozialsysteme genauso wie Wirtschaftsstrukturen und zivilisatorische Fähigkeiten. Aus dieser Vergleichbarkeit entsteht Wettbewerb. Dieser Wettbewerb kann, je nach Thema und Struktur, den ganzen Globus oder nur die kleine Region betreffen. Die daraus folgernden notwendigen Anpassungen und strukturellen Veränderungen werden uns alle betreffen. Es gilt also, die sichtbarer und überschaubarer gewordene Welt in ihrer Komplexität zu erfassen und uns darin wiederzufinden.

Die Bevölkerungsentwicklung wird im kommenden Jahrzehnt durch zurückgehende Geburten, höheres Lebensalter und Wanderungsbewegungen gekennzeichnet sein. Wir kennen in Wiehl alle diese Phänomene, aber die Konsequenzen hieraus müssen noch definiert werden. Die Veränderung der Bevölkerungspyramide stellt viele neue Anforderungen an uns, entspannt einerseits die Kosten für die kommunale Infrastruktur, löst andererseits aber neue Bedürfnisse einer älter werdenden Bevölkerung aus. Sie gefährdet sämtliche umlagefinanzierten Systeme und macht sie teilweise unbezahlbar. Sie löst Fachkräftemangel aus und bedroht unseren Wirtschaftsstandort.

Ein materieller Generationenkonflikt ist programmiert, wenn nicht rechtzeitig Lösungsansätze zu seiner Bewältigung gefunden werden. Hier sind in der Tat die kleineren europäischen Länder den größeren bereits weit voraus. Und wer es für uns in Wiehl nicht glauben mag, dem nenne ich nur zwei Zahlen, nämlich den stärksten Geburtenjahrgang des Jahres 1961 von 484 Kindern und den Geburtenjahrgang des Jahres 2000 von 233 Kindern. Dazwischen liegt ein fast 30-jähriger kontinuierlicher Schrumpfungsprozeß. Er wird sich fortsetzen. 6500 Menschen in Wiehl sind über 60 Jahre, 6300 unter 20 und die anderen 14.000 in der Mitte. Die Pyramide wandert aber nach oben mit den eben aufgezeigten Spannen. Wir brauchen also in Zukunft weiter den Zuzug von erwerbsfähigen Menschen, vor allen Dingen brauchen wir Zuzug von Kindern. Dieses Bild läßt sich auf ganz Deutschland übertragen. Weltweit werden wir Ende dieses Jahrhunderts den Zenit des Bevölkerungswachstums wegen des deutlichen Trends zur Kleinfamilie überschritten haben. Bis dahin wird es Wanderungsbewegungen geben. Notwendige Wanderungsbewegungen und schwer zu verkraftende Wanderungsbewegungen. Dies hier zu vertiefen würde zu weit führen, aber eins müssen wir wissen, Offenheit und Aufnahmebereitschaft werden von uns wieder verlangt werden. Kinderfreundlichkeit muß zum Markenzeichen werden. Festigkeit in der Verteidigung unserer Grundwerte steht hierzu in keinem Gegensatz. Im Gegenteil, wir sind gefordert, mit den jungen Menschen in unserem Land, in unserer Stadt hierüber zu sprechen, sie zu überzeugen und selbst für deren Einhaltung einzustehen. Politischer Extremismus, ganz gleich wie er sich äußert, wird uns nicht helfen, hat keine Zukunft, löst keine Probleme, sondern stiehlt uns die Zeit, die wir brauchen, um uns den Aufgaben zu stellen und Verantwortung wahrzunehmen.

Mit Hilfe der kommunikativen Vernetzung werden wir in Zukunft alle miteinander ohne Rücksicht auf den Standort miteinander Informationen austauschen können. Dabei kann man sowohl Empfänger als auch Sender sein. Vor allem braucht man nicht mehr Dritte, die Informationen vermitteln, oft auch filtern und auch kanalisieren. Viele Dienstleistungen werden direkt in Anspruch genommen und über das Internet abzuwickeln sein. Nach Meinung unseres Bundesinnenministers wird man ab dem Jahre 2005 Führerschein, Reisepäße und Personalausweise über das Internet bestellen und abwickeln können. Digitale Signaturen und Urkundsechtheit ist bereits jetzt in der Entstehung bzw. schon Praxis. Der kommunale Servicebereich wird in großem Stile, so wie heute schon Bankdienstleistungen und anderes online abrufbar. Das virtuelle Rathaus rückt näher und die persönliche Begegnung wird primär der Problemerörterung und der Problemlösung vorbehalten bleiben.

Wir hoffen, und dazu dient auch die Renovierung und der Umbau des Rathauses, in wenigen Jahren hierzu die notwendigen Rahmenbedingungen in unserem Städtchen vorhalten zu können.

II. Es ist sicherlich keine Wahrsagerei, wenn angesichts dieser geschilderten Gesamtumstände damit gerechnet werden muß, daß wir uns am Vorabend eines verschärften Standortwettbewerbes zwischen den Kommunen befinden. Wir in Wiehl bereiten uns darauf vor. Arbeitsplätze und Wohnstandorte werden für den Wettbewerb um die Bürgerinnen und Bürger in neuer Qualität eine entscheidende Rolle spielen. Die Zusammenarbeit der Kommunen in der Region wird daher schwieriger und zugleich notwendiger als je zuvor. Die oberbergische Region steht vor der Beantwortung der Frage ihrer Identität, ihrer regionalen Zuordnung und ihrer funktionalen Überlebungschance. Hierzu werden wir alle beitragen müssen, auch wenn dieser Prozeß erst am Anfang seiner bewußten Entwicklung steht. Ich mahne hier allerdings zur Eile, denn andererorts werden schon Weichen gestellt, beginnt man schon, in größeren Räumen zu denken, und die Gefahr, Haferspanien als ungewolltes Leitbild zu produzieren, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

III. Lokale Verantwortung in Wiehl muß daher auch bedeuten, in freundschaftlichem Wettbewerb den Nachbarn im Oberbergischen die Hand zu reichen, das eigene Interesse offen und klar zu formulieren und fair darüber nachzudenken, welche Verantwortung für die Region übernommen werden kann. Lokale Verantwortung bedeutet bei der kommenden Ausgangslage aber auch zur Vermenschlichung der Gesellschaft in unseren Dörfern, unserem Städtchen beizutragen. Lokale Verantwortung heißt Rahmen und Atmosphäre zu schaffen, damit die Menschen zu einander finden, miteinander leben und soziale Strukturen, die den Respekt vor einander nicht verneinen, schaffen. Wir haben in unserem zwar nicht mehr ganz so ländlichen Wiehl, ebenso wie im Oberbergischen die Chance, soziale Probleme nicht zur Unlösbarkeit zu führen und zu verhindern, daß Kriminalität, ganz gleich welcher Art, sich zur geduldeten und wachsenden Subkultur entwickelt. Und lassen Sie mich dieses Eine noch bei aller reißerischer Tagesaktualität, die zur Zeit die BSE-Problematik auslöst, zum Ausdruck bringen. Ich kann mich schwer damit abfinden, daß die Zahl der Drogentoten jährlich steigt, Tausenden von jungen Menschen das Leben nimmt und vielen anderen Tausenden jede Zukunft zerstört. Es kann auch nicht sein, daß Woche für Woche ein neuer Fall von Kindesmißhandlung und Kindestötung bekannt wird und sich niemand mehr aufregt. Und es kann dann auch nicht sein, daß politische Verrohung bagatelisiert wird und Fremdenhaß und Antisemitismus zum Tagesgeschäft werden. Alles das kann durch lokale Verantwortung, lokales Ehrenamt, ja unter besonderer Einbeziehung der älteren Generation, die über die Lebenserfahrung und die Zeit verfügt, verhindert werden, wenn wir unser Miteinander, unsere Vermenschlichung neu entdecken und die von der Hektik unseres heutigen Berufslebens ausgehende Kälte aufbrechen.

In diesem Sinne darf ich uns heute und für das kommende Jahr alles Gute, viel Glück und Gesundheit, Gottes Segen und einen schönen gemeinsamen Start in ein gutes neues Jahrzehnt wünschen.